Die entscheidende Frage ist: was bleibt?
Der Winter macht das Ende eines Lebenszyklus sichtbar. Was im Frühjahr noch blühte und im Sommer Früchte trug, ist nun kahl und hat den Wachstum eingestellt. Die Säfte ziehen sich nach innen. Das Leben scheint zum Stillstand zu kommen. Wir werden mit dem Vergänglichen konfrontiert, ob es uns gefällt, oder nicht. Totensonntag und Volkstrauertag tun das ihre dazu. Dabei ist es nicht wichtig, ob dir diese Tage persönlich etwas bedeuten - sie wirken kollektiv und gehören zu unserem kulturellen Erbe.
Was wie die ersten Zeilen einer Sonntagspredigt wirkt, ist für fast alle Menschen ein wirklich schwieriges Thema, denn im Kern geht es darum, mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert zu werden. Der Winter macht sichtbar, dass alles sein Haltbarkeitsdatum hat, auch wir selbst. Es gibt viele Menschen die sagen, sie hätten keine Angst vor dem Tod, aber bei dem kleinsten Ziehen im Bauch spüren sie ihre Angst vor Krankheit und gehen zum Arzt. Und unter der Angst vor Krankheit ist auch immer die Angst vor dem Tod.
Was wäre so schlimm daran, wenn das Leben jetzt zu Ende ginge? Weil es noch nicht fertig gelebt ist, oder weil es noch so viel zu tun gibt? Es gibt keinen Plan, der abgearbeitet werden müsste und dann wäre das Leben vollendet. Abgesehen von den wirklich Lebensmüden kommt der Tod immer zur Unzeit. Sowohl der eigene, als auch der der anderen. Es gibt keine andere Gewissheit im Leben, die mit so vielen Ängsten behaftet ist und bei der man sich so viel Mühe gibt, sich nicht mit diesen Gefühlen auseinander zu setzen.
Es ist dieses Mysterium, bei dem von einem Atemzug zum anderen plötzlich kein Leben mehr da ist. Jeder, der schon einmal einen Menschen bei diesem Übergang begleitet hat ist Zeuge geworden, wie ein lebendiger Organismus von einem Moment zum anderen zu einer buchstäblich leblosen Hülle geworden ist. Man sieht es und man spürt es. Da ist nichts mehr, nur noch Gewebe, das nun ebenfalls rasch dahingeht. Wo ist der Mensch geblieben? Was ist von ihm übrig? Das berührt den Kern des Grauens: das nichts mehr bleibt. Es ist die Angst vor der totalen Auslöschung, dem nicht mehr existieren.
Die Religionen trösten mit den Verheißungen des ewigen Lebens, der Auferstehung und der Reinkarnationen. Viele glauben sich an frühere Leben zu erinnern was der Beweis dafür wäre, dass man irgendwann wiedergeboren wird und damit ist es doch nicht so schrecklich endgültig. All das muss man glauben. Es ist kein wirkliches Wissen. Es ist mehr ein Trost.
Was ist die Alternative? Sich ganz diesen Gefühlen stellen. Sich wirklich auf tiefe Art und Weise mit diesem Mysterium beschäftigen. Wenn unsere Eltern, oder andere, die uns nahe stehen sterben, können wir sozusagen üben damit umzugehen. Wir haben noch etwas Zeit, so lange, wie es eben dauert. Die anderen gehen uns voraus. Irgendwann hört auch unser Körper auf zu atmen. Dann ist es für uns an der Zeit.
Wenn wir uns Zeit nehmen, die gesamte Existenz unseres Seins zu entdecken, dann können wir erkennen, dass unser Mensch sein untrennbar mit diesem Körper verbunden ist und gleichzeitig spüren wir auch unsere unsterbliche Seele. Wir können wirklich zutiefst erfahren, dass unser wahres Sein nicht an diese Form gebunden ist. Dieses Mensch sein ist eine Erfahrung. Was dann kommt, bleibt ungewiss. Das Formlose und Ewige braucht keine Gewissheiten, die an menschliches Sein gebunden ist. Es ist ein sich ergeben in das Nicht-Wissen. Wer diesen Schritt wagt, der überwindet seine Angst. Dann ist der Tod weder willkommen, noch fürchten wir uns vor ihm. Dann ist er ein natürlicher Teil des ewigen Zyklus von Werden und Vergehen. Das bedeutet es wenn Menschen sagen, dass sie sich ganz in Gottes Hand begeben. Dann geben wir vor allem die Vorstellung aus der Hand, irgend etwas zu wissen. Und dann können wir aufhören uns Gedanken um die Zukunft zu machen, bzw. uns um sie zu sorgen. Dann leben wir ganz im Jetzt.
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